Düsseldorf – 39er Denkmal Reeser Platz
Ziel des Wettbewerbs war es, zeitgenössische, künstlerische und freiraumplanerische Ideen für eine pointierte, signifikante und kritische Kommentierung des 39er Denkmals auf dem Reeser Platz zu finden.
Das Denkmal wurde 1939 auf dem Reeser Platz errichtet und eingeweiht. Es ist in seiner inhaltlichen Aussage, ästhetischen Formulierung und gesellschaftlichen Funktion als revanchistisch und nationalsozialistisch einzustufen. Der Denkmalsbau mit dem dazugehörigen Aufmarschplatz ist ein historisches Zeugnis für den Krieger- und Totenkult im Nationalsozialismus. Das Denkmal entstand in unmittelbarer Nachbarschaft und im Anschluss an die Reichsaustellung „Schaffendes Volk“ von 1937. Bei dieser Autarkie- und Leistungsschau des NS-Staates entstand unter anderem eine typische nationalsozialistische Modellsiedlung („Schlagetersiedlung“) in Golzheim mit „landschaftsgebundenen“ Wohnhäusern und die Anlage des Nordparks.
Der Rat der Landeshauptstadt Düsseldorf hat für das Quartier (ehemalige „Schlagetersiedlung“ mit dem Reeser Platz und der rückwärtigen Freifläche) im Jahr 2014 eine Denkmalbereichssatzung beschlossen und damit das Äußere und die Struktur des Gebietes als bedeutendes politikgeschichtliches und städtebauliches Geschichtszeugnis unter Denkmalschutz gestellt.
Die für den Stadtteil zuständige Bezirksvertretung 1 (BV 1) hat in ihrer Sitzung vom 11. April 2014 mehrheitlich beschlossen, ein alternatives Denkmal auf dem Reeser Platz aufzustellen, das den Wunsch der Düsseldorfer Bürgerinnen und Bürger nach einem friedlichen Zusammenleben der Völker zum Ausdruck bringt und den Widerstand gegen Kriegsverherrlichung würdigt.
In der Sitzung der Bezirksvertretung 1 vom 3. März 2017 wurde dazu ergänzend beschlossen, die zukünftige Kommission für Kunst am Bau und im öffentlichen Raum der Landeshauptstadt Düsseldorf (Kunstkommission) mit der Durchführung eines offenen Kunstwettbewerbs zur Umsetzung des Beschlusses vom 11. April 2014 zu beauftragen. Zur Vorbereitung des offenen Wettbewerbs beschloss die in der Zwischenzeit gegründete Kunstkommission in ihrer Sitzung vom 13. Juni 2018, ein Bürgerbeteiligungsverfahren zum Thema durchzuführen. Dazu fand am 17. November 2018 in der Evangelischen Tersteegen-Kirchengemeinde ein Werkstatt-Tag mit Thema „Zukünftiger Umgang mit dem 39er Denkmal auf dem Reeser Platz“ statt. Die Ergebnisse des Werkstatt-Tags dienten der Modifizierung und Konkretisierung der Wettbewerbsaufgabe und des Verfahrens.
Am 10. April 2019 empfahl die Kunstkommission einstimmig die Auslobung eines Ideenwettbewerbs für die künstlerische und freiraumplanerische Kommentierung des 39er Denkmals mit dem dazugehörigen Aufmarschplatz unter Berücksichtigung des gesamten Reeser Platzes. Der Kulturausschuss der Landeshauptstadt Düsseldorf hat in seiner Sitzung vom 09. Mai 2019 der Empfehlung der Kunstkommission einstimmig zugestimmt.
1. Preis "Those who have crossed" ULTRASTUDIO - Lars Breuer, Sebastian Freytag, Christian Heuchel, Guido Münch, Jürgen Wiener, Köln
Mit der Skulpturarchitektur Those who have crossed (aus T. S. Eliot The Hollow Men, 1925), soll dem tragischen Moment, dem das 39‘ Denkmal gewidmet ist, gerecht werden. So erinnert das Denkmal nicht nur an den (vermeindlichen) Tod von Menschen und es ging den Bauherren niemals um die heilende Verarbeitung eines kollektiven Traumas. Die Toten präsentieren sich im nationalsozialistischen Entwurf vielmehr in Form eines auferstehenden Militarismus und Revanchismus. Dieser Interpretation setzt die Skulpturarchitektur Those who have crossed dezidiert einen neuen Blickwinkel entgegen. Auch wird die gebrochene Funktionalität und Uneinheitlichkeit des Platzes überwunden, indem die Begehbarkeit der Skulpturarchitektur einen neuen Erfahrungsraum eröffnet. Ein neues Element verbindet die Geradlinigkeit des Platzes vor dem 39’er Denkmal mit der Weite des rückwärtigen Geländes zum Rhein hin.
In Nord-Süd-Ausrichtung konterkariert der Eingriff das bestehende Denkmal allein durch seine Materialität. Revanchismus und Militarismus erfahren auf diese Weise eine präsente Durchkreuzung ohne das historische Ensemble zu berühren.
Erhöht erlebt der Besucher nicht nur einen neuen Blick nach unten auf einen Teil der Stadt und ihrer Geschichte, sondern der Besuch erlaubt einen befreienden Blick in die Gipfel der Bäume.
Die Freifläche des Reeser Platzes gliedert sich in drei Abschnitte: der strenge Vorplatz und das Denkmal, einer biotopartigen Zone hinter dem Monument und einer Parkanlage, in der sich der ehemalige Wendehammer der Straßenbahn abzeichnet und der zum größten Teil durch eine Wiese geprägt wird. Das zentrale Element der Architekturskulptur Those who have crossed findet sich in der Form einer Brücke. Stahlplatten bilden ihre reduzierte Form, die sich auf die wesentlichen Elemente beschränken: ein Boden und eine umlaufende Brüstung bilden ein Wannen-artiges 50 Meter langes Element, in dem sich die Besucherinnen und Besucher bewegen können, um die verschiedenen Bereiche des Reeser Platzes zu erfahren. Die Brücke führt sie in die Höhe der Bäume und über die offenen Flächen des Platzes. An jeder Stelle bieten sich neue Sicht- und Bezugspunkte zur bekannten Stadt.
Die Brücke ist so konstruiert, dass sie vor dem Denkmal als frei schwebendes Element wahrgenommen wird. Ihre Materialität wird zugunsten einer Leichtigkeit aufgelöst. Auf der Rückseite des historischen Denkmals liegt sie auf einem Hügel auf, der sich organisch aus dem bestehenden Untergrund erhebt. Dieser Hügel fügt sich in die bestehende Situation und fügt dem Spielplatz eine weitere Aufenthaltsqualität hinzu. Die Ästhetik einer brutalen Vergangenheit wird nicht versteckt, sondern neu sichtbar und überschreitbar gemacht. Die verbindende Qualität einer Brücke zeigt sich in ihrer öffnenden Eigenschaft, die verschiedene Bereiche verbindet.
2. Preis "Der neue Reeser Platz" Gabriele Horndasch, Düsseldorf, Bierbaum.Aichele.landschaftsarchitekten
Die Diskussion, wie mit historischen und ideologischen Altlasten wie dem Reeser Platz adäquat umzugehen ist, beschäftigt die Stadtgesellschaft seit 75 Jahren.
Schon 1946 beschloss der Stadtrat, das Denkmal abzureissen. Wegen seiner Funktion als Totenmal hielt die britische Militärregierung den Abriss 1948 jedoch für unnötig. Erst 1953 und gegen den Beschluss des Rates der Stadt Düsseldorf wurden Ortsnamen und Daten der Schlachten des 2. Weltkriegs eingemeisselt. Ein Akt des Vandalismus? Erst seit 1988 finden keine offiziellen Gedenkfeiern, z. B. durch die Bundeswehr, mehr statt. Am Reeser Platz haben die rechtsstaatlichen Institutionen der Stadt Düsseldorf nach dem 2. Weltkrieg um Demokratie gekämpft und, jedenfalls wenn man den Abriss des Denkmals als Sieg bezeichnen würde, verloren: Das 39er Denkmal ist heute denkmalgeschützt.
Das sogenannte 39er Denkmal wurde in der Diktatur errichtet, ist reaktionär, revisionistisch und war noch nie dem Gedenken einzelner gewidmet; ganz im Gegenteil: es ist ein politisch-weltanschauliches Statement. Das 39er Denkmal steht für den Militarismus des Deutschen Reichs und nach dem 2. Weltkrieg zumindest als Negativum auch für den Kampf der Stadt Düsseldorf um Demokratie. Zwar wurde es mit ca. 8000 ehemaligen Soldaten des 39er Regiments als Mahnmal für ihre gefallenen Kameraden 1939 eingeweiht; die zu dieser Zeit aktiven Rekruten waren jedoch nicht anwesend, weil sie sich in der Eifel auf den Überfall auf Polen vorbereiteten.
Können wir es uns also leisten zu hoffen, dass der historische Abstand das steingewordene Narrativ daran hindert, weitere 75 Jahre zu wirken?
Meiner Überzeugung nach ist es unverzichtbar, das Monument mit den darin eingeschriebenen nationalistischen, militaristischen und revanchistischen Ideen zuzuschütten und diese Ideen damit gewissermaßen abzuschirmen.
Dabei geht es nicht darum, historische Zeugnisse des NS-Regimes zu löschen oder zu verstecken, sondern darum, Menschen vor der gefährlichen Strahlung zu schützen, ähnlich wie man es mit einem havarierten Atomkraftwerk macht.
Die historische Struktur bleibt auch nach den Richtlinien des Denkmalschutzes erhalten, der mahnende Aspekt als Denkmal wird gerade durch seine Nicht-Sichtbarkeit gesteigert.
Diese Beisetzung hat eine europäische Dimension. Deshalb ist wichtig, dass sie feierlich und in europäischem Rahmen begangen wird.
Der knapp 7 m hohe Hügel sitzt auf der Mauer, die den ehemaligen Aufmarschplatz von Park und Kinderspielplatz trennt, ein wenig zum Park hin versetzt und ist mit einer Wiese bepflanzt. Die Erhebung verbindet die beiden Teile des Reeser Platzes, die bisher durch das Denkmal getrennt waren. Man kann den Hügel zu Fuß überqueren und von oben im Schutz der noch weit höheren Baumkronen den Park, den Platz, den Rhein und das andere Ufer erblicken. Die das Denkmal verlängernde Mauer wird an 2 Stellen durchbrochen, um neben dem Hügel zusätzlich ebenerdige barrierefreie Parkwege zu schaffen. Park und Platz, die bisher getrennt waren, werden ein Ensemble.
Dennoch ist das Monument noch da. Wenn man den Platz betritt, steht man darauf. Das Schild aus Edelstahl, das jetzt auf der rechten Seite des 39er Denkmals steht, wird um einige Meter versetzt wieder vor der Mauer, kurz vor dem Durchbruch aufgestellt und um ein 10% Größeres ergänzt. Darauf wird erklärt, wie es zu dem NEUEN REESER PLATZ gekommen ist.
Die vorhandenen Baumpflanzungen auf beiden Teilen des Reeser Platzes, die Sumpfeichen auf dem ehemaligen Aufmarschplatz und die Reihung der Platanen an der Reeser Straße, die mit Neupflanzungen auf der Seite der Herrmann-Weill-Straße ergänzt werden, sind überwiegend orthogonal angeordnet. Diese Symmetrie wird im Bereich um den Hügel herum von mehreren, darunter drei sehr hohen Bäumen, zwei Platanen und einer Rotbuche, in freier Anordnung mit ihren großen weit über den Hügel hinausreichenden Kronen, gebrochen. Diese Bäume haben in ihrer Anarchie auf vertikaler wie horizontaler Ebene eine verbindende Funktion in der Landschaftsarchitektur des NEUEN REESER PLATZES.
Im Prozess der Entwicklung des NEUEN RESSER PLATZES entsteht in der 2. Phase des Wettbewerbs der Wunsch nach stärkerer Belebung der Platzseite und einer größeren Durchmischung des Publikums von beiden Seiten, der Platz- und der Parkseite. Zwei Dutzend 3,90 m lange Sitzbänke ziehen von der Rotterdamer Straße her wie eine Herde Schafe fast kreisförmig über den ehemaligen Aufmarschplatz bis hin zum den Spielanlagen im Park. In Form und Farbe gleichen sie den Sitzgelegenheiten vom bisherigen Spielplatz, sind jedoch doppelt so lang. Die Installation bricht durch ihre Ausrichtung mit der orthogonalen Struktur des ehemaligen Aufmarschplatzes. Sie stellt ein neues Element dar, das Platz, Hügel und Park miteinander in Dialog bringt. Die in verschiedensten Winkeln ausgerichteten Bänke bieten den Nutzern des Platzes neue Möglichkeiten und tragen damit fast beiläufig aber ganz wesentlich zur Steigerung der Aufenthaltsqualität auf dem NEUEN REESER PLATZ bei: Picknick, Flohmarkt, Theater unter freiem Himmel, der NEUE REESER PLATZ ist zu mannigfaltiger Nutzung geeignet und hat die Qualität eines Quartiertreffpunkts unter freiem Himmel.
Perspektive, Horndasch, Bierbaum.Aichele.landschaftsarchitekten
Aufsicht, Horndasch, Bierbaum.Aichele.landschaftsarchitekten
Lageplan, Horndasch, Bierbaum.Aichele.landschaftsarchitekten
Modell, Horndasch, Bierbaum.Aichele.landschaftsarchitekten
3. Preis Heinke Haberland, Düsseldorf
Interpretion der NS-Anlage
Bei dem von den Nationalsozialisten konzipierten „Ehrenmal“ handelt es sich nicht nur um den architektonischen Baukörper am Kopfende des Platzes. Denn das NS-Regime war inszenatorisch modern und raffiniert genug, den traditionellen Denkmalbau bewusst mit einem interaktiven Element zu komplettieren: dem Aufmarschplatz.
Dass der gesellschaftliche Unmut sich heute im Wesentlichen auf den architektonischen Riegel bezieht und der Platz als harmlos, gar schön, empfunden und toleriert wird, zeigt, dass bis jetzt möglicherweise gar nicht wirklich begriffen wurde, was die Nationalsozialisten hier als ideologisches Gesamt-“Kunstwerk“ implementiert und erfolgreich bis in die Zukunft – unsere Gegenwart – projiziert haben.
So ist unserer Auffassung nach nicht das Bauwerk mit den der Gruft entsteigenden Wiedergängern das größte Problem. Viel unheimlicher noch ist die perfide Harmlosigkeit, mit der dieser Platz da liegt – wie in einem Dornröschenschlaf – und auf die reale Wiederbelebung seines impliziten Zweckes harrt. Er birgt in seinem unbemerkten Kontinuum das eigentliche Unheil, verkündet er doch immer weiter unterschwellig, aber äußerst konkret die Aufforderung zur aktiven Reanimation des Faschismus. Dieser Platz wartet geradezu darauf, dass wieder aufmarschiert wird. Die Wiederauferstehungs-Szene an der Stirnseite ist sozusagen nur die illustrierte Anleitung dazu.
Dies ist folglich gar kein Denkmal, sondern eine intakte NS-Aufmarschanlage, möbliert mit einem pseudoreligiösem Altarschrein. Das pathetische „Totengedenken“ dient dabei lediglich als propagandistischer Trick zur erneuten Kriegstreiberei.
Eingriff in die faschistische Topografie
Dieser bis heute stehengebliebene Bühnenraum des Faschismus soll nun aufgebrochen werden. Er wird durch eine massive skulpturale Intervention neu besetzt, umgedeutet und unterminiert. Dem bestehen bleibenden Denkmalkubus soll zudem auch physisch sehr deutlich etwas entgegengesetzt werden. Die Achsialität des Platzes und die Symmetrie seiner Pflasterung werden ausgehöhlt und dekonstruiert. Die freie Sicht über den Platz bleibt dabei gewahrt, denn erst im Näherkommen tut sich der Boden auf.
Revanchistische oder neofaschistische Aufmärsche werden verunmöglicht bzw. direkt in den Boden abgeführt. Je tiefer man hinein geht, desto tiefer senkt sich der Grund. Abstieg, Niedergang und Untergang finden in diesem abfallenden Grabensystem auf schiefer Ebene ihr danteskes Äquivalent. Lasciate ogni speranza, voi ch‘entrate!
Ikonografischer Hintergrund
Das neue Bauwerk variiert das archetypische Symbol des Labyrinths und lässt es hier – als Antwort der Moderne auf einen Barockpark – als einen unsinnigen Irrgarten entstehen. Denn im Unterschied zu einem klassischen Labyrinth fehlt nun jedwedes sinnstiftende Element. Es gibt kein Zentrum, keinen Rythmus, keinen Ausgang, kein Ziel. Der Verlust der Mitte und somit der Möglichkeit einer Umkehr und sinnerfüllten Wiederkehr verkehrt sich zu bedeutungslosem Umherirren. Im Grabensystem der Abzweigungen, Sackgassen und Kreuzungen wird das In-die-Irre-Gehen zur paradoxen, selbstbezüglichen Taktik. Assoziationen an die labyrinthischen Schützengrabensysteme der Weltkriege sind dabei intendiert. Ausweglosigkeit und Alptraum als Prinzip versinnbildlichen hier die psychologische Verfasstheit eines traumatisch verwüsteten Zeitgeistes. So erinnert dieser Ort an die Opfer ihres eigenen verrannten, patriotischen Wahns und ihr vergebliches, furchtbares Tun, doch mehr noch soll es die buchstäbliche Irrsinnigkeit des Krieges gegenwärtig machen. Die existentielle Abwegigkeit wird dabei metaphorisch sichtbar und körperlich erfahrbar sein. Diese architektonische Skulptur soll dabei im besten Sinne demokratisch sein, eine künstlerische Intervention, die für Alle deutbar und erfahrbar ist. So darf hier Ariadne assoziiert, Borges zitiert und Piranesi bemüht werden, an Krieg gemahnt und an die Toten erinnert, – aber auch einfach gespielt und flaniert. Die stereotyp marschierenden Steinsoldaten des alten Denkmals finden ihr figuratives Äquivalent nun in den realen Besuchern der begehbaren Anlage – echten Menschen, die in dem Bodenrelief frei und selbstbestimmt herumlaufen können, um schließlich lebendig dieser Unterwelt wieder zu entsteigen.
Absturzsicherheit
Die Steinmäuerchen werden an den seitlichen Zugängen geschlossen. Der tiefere, hintere Teil des Labyrinths wird durch einen 1,5 Meter breiten Graben durchgängig abgetrennt und ist nur unten durch die Gänge erreichbar. Eine Absturzgefahr wird so vermieden. Optional kann zusätzlich im hinteren Bereich des Bodenreliefs mit flacher Bodendecker-Beflanzung gearbeitet werden, um das Betreten der hinteren Flächen zusätzlich zu verhindern.
„Angstraum“
Es wird sich an dieser Stelle nicht um einen Angstraum im objektiven Sinne handeln, da das Gelände in ein äußerst friedliches, bürgerliches Ambiente eingebettet ist und von kriminellem Geschehen nicht auszugehen ist. Die subjektive Empfindung eines Angstraums ist allerdings intendiert. Ein Durchgang für empfindliche Personen wird jedoch selbstverständlich niemals erzwungen. Jeder ist frei, die beklemmende Erfahrung soweit zu erleben, wie es ihm persönlich richtig erscheint.
Perspektive, Heinke Haberland,
Aufsicht, Schnitt, Heinke Haberland,
Lageplan, Heinke Haberland,
Modell, Heinke Haberland,
4. Preis "Kritische Masse" missing icons | Knobloch + Vorkoeper, Hamburg
Das 39er-Denkmal und der Reeser Platz, die bislang stadträumlich abgesondert und verborgen sind, werden weithin sichtbar freigestellt. Indem die bislang getrennten Platzflächen zu einem Platz verschmolzen werden, eine Sichtachse zum Rhein frei geräumt wird und sich die Gesamtanlage mit den angrenzenden Stadträumen verbindet, entsteht der „Neue Reeser Platz“. In der neuen Sichtachse zeigt sich das 39er-Denkmal vom Rhein wie von der Stadt aus als monolithischer Block, dessen Kontur und Größe jedoch radikal aufgebrochen wird. Eine bedrohlich düstere, schwere Masse bedrängt, umfließt und überlagert es. Die „Kritische Masse“ schiebt sich von den Rändern quer über den Platz auf das Denkmal zu. Sie überschüttet den vorderen ehemaligen Aufmarschplatz ebenso wie den ehemals hinter Dickicht versteckten Rückraum des Denkmals mit einer gedellten, hügeligen Struktur, die in sich löchrig und aufgerissen ist.
- Kritische Masse, Fraktales Relief, Asphalt auf Schottertragschicht, 2200 m2/2400 m3
Die „Kritische Masse“ kommt aus dem Nichts und erscheint unendlich fortsetzbar. In ihrer materialen Struktur finden sich die bis heute sichtbaren Verletzungen und Narben verdichtet, welche die verheerenden Materialschlachten der beiden Weltkriege in vielen europäischen Landschaften hinterlassen haben. Unter ihren durch Millionen von Geschossen, Granaten und Bomben entstellten und unrettbar vergifteten Oberflächen liegen noch heute ungezählte Soldaten begraben. Die Masse greift das 39er Denkmal doppelt an: Sie nivelliert seine heroische Klarheit und Größe und sie widerspricht seiner Intention. Die Bedrohlichkeit des abgebildeten Regiments, die 1936 das deutsche Wiedererstarken signalisieren sollte, löst sich auf. Die abgebildeten Soldaten steigen nicht länger aus der Tiefe des Grabes auf, um in den nächsten Krieg zu ziehen. Als steinerne Untote, deren Gesichter von der Zeit angefressen sind, befinden sie sich stattdessen unversehens mitten im Kriegsgeschehen und gehen dem Tod erneut entgegen. Die Auferstehungsmystik des Kriegerdenkmals, die dem sinnlosen Sterben im 1. Weltkrieg ex postum Sinn und quasireligiöse Weihe geben sollte, um das Volk für den nächsten Krieg zu mobilisieren, wird durch das fraktale Relief ad absurdum geführt, da es – selbst formlos und massig – die formlosen Massengräber der unbekannten Soldaten in Erinnerung ruft.
Die Form des Reliefs verdichtet die Formen ehemaliger Schlachtfelder an der West- und der Ostfront beider Weltkriege. Es nimmt die bis heute deformierten Topographien als Ausgangsmotive, empfindet die Krater, Gräben, Grate und willkürlichen Vertiefungen nach, die die unterschiedlichen Geschosse und Schützengräben im Grund hinterlassen haben. Es bildet dabei keine konkrete Landschaft ab. Ähnlich wie die Form der „Kritischen Masse“ der vergangenen Gewalteinwirkungen „nachdenkt“, bildet die dichte Materialität eine Analogie zur Dichte, Unzugänglichkeit und Kontaminierung der ehemaligen Schlachtfelder: Schwarzer, grobkörniger Asphalt mit heterogenen Beimischungen wie Schlacke, Basalt, Splitt und Glas, überfließt Hügel, die aus Recyclingasphalt und Schotter aufgeschüttet wurden.
- Neuer Reeser Platz: Sichtachse, Stadtanbindung und lebendige Nutzung
Das Denkmal und der Reeser Platz sind aktuell aus der Gegenwart Düsseldorfs ausgeblendet. Zudem zerfällt der Platz in vier Teile: den Aufmarschplatz, das Spielfeld, die Rasenfläche mit ehemaliger Straßenbahnwendeschleife und den kleinen der Straße zugewandten Teil neben dem Kiosk. Das landschaftsarchitektonische Konzept sieht deshalb vor, diese bislang unterschiedenen Zonen zu einem Platz zusammenzufassen und eine Sichtachse zum Rhein und zum Denkmal zu öffnen. Dafür wird das Gelände frei geräumt und an den vorhandenen Stadtraum angeschlossen. Der „Neue Reeser Platz“ wird sich vom Rhein und vor allem von der Stadt, d.h. von der Kaiserswerther Straße aus öffnen. Wer mit der Straßenbahn ankommt, den empfängt eine weite, klare und ruhige Platzstruktur, welche die angrenzenden Stadträumen sichtbar miteinander verbindet. Die neue Sichtachse zum Rhein richtet den Blick zentral auf das vibrierende Denkfeld aus „Kritischer Masse“ und 39er-Denkmal. Das Kiosk wird als Initiator der Platzbelebung auch zukünftig angenommen und das Trafohaus als bestehende Infrastruktur akzeptiert. Dergestalt ermöglicht der Platz vielfältige Formen der Anwendung: Man kann ihn als Passage zum Rhein nutzen, unter seinen großen Bäumen ausruhen, Eis kaufen, Kaffee oder Bier trinken, beisammen sitzen, spielen – und nachdenken.
Herstellung des Neuen Reeser Platzes
Der Platz entsteht durch die Entfernung von Gebüschen und Dickichten, markante Neupflanzungen sowie die Vereinheitlichung der Platzoberfläche: Er wird durchgehend als heller Grandplatz gebaut. In ihn ist die Bestandswiese erweitert und begradigt eingearbeitet, bei der die regelmäßige Mahd entfallen wird. Die bisher vielfach zergliederten Seitenstreifen werden zu breiten, klaren Wegeachsen zusammengefasst, die Richtung Rhein, Denkmal und Kunstwerk führen. So werden die grünen Seitenstreifen rund um die Bestandsplatanen aufgelöst und die Bäume direkt in den Grand, also in den Platzraum gestellt. Die bestehenden Platanen-Reihen werden durch 7 Neupflanzungen ergänzt und der Baumbestand um einen Solitär erweitert: einem lichten Silberahorn. Im Bereich des Denkmals wird die informelle Querung aufgegriffen und als Wegeverbindung zwischen Hermann-Weill-Straße und Reeser Straße ausgebaut.
Der auf der Rückseite des Denkmals befindliche Spielplatz wird ebenfalls aufgelöst. Über den nördlichen Platzteil und die nördliche Rasenfläche finden sich Himmelsschaukeln, Sand- und Balancierspiele frei verteilt. Als Möblierung werden 5 unterschiedlich lange Bänke platziert, die beidseitig nutzbar sind und sowohl unter Bäumen als auch an den sonnigen Stellen des Platzes angeordnet sind. Sie bieten den Gästen des Kiosks, den Schüler/innen der angrenzenden Schulen, Anwohner/innen, Familien mit spielenden Kindern ebenso wie größeren Besuchergruppen angenehme Rastmöglichkeiten. Zudem werden je 5 Fahrradständer vorn und in der Nähe des Denkmals gesetzt. Die Platzoberfläche ist weitgehend entsiegelt. Darüber hinaus ist eine Drainage geplant und eine Rohr-Rigolen-Versickerung, die eine Rückhaltung des Regenwassers von Starkregenereignissen erlaubt, so dass genügend Oberflächenwasser zur Bewässerung des Platzes und der Bäume vorhanden sein wird.
Perspektive, Knobloch + Vorkoeper, missing icons
Lageplan, Knobloch + Vorkoeper, missing icons
Perspektive, Knobloch + Vorkoeper, missing icons
Modell, Knobloch + Vorkoeper, missing icons
Anerkennung Milica Lopičić, Christian Sievers, Köln
Öffnen des Denkmals
Wir schlagen vor, das 39er-Denkmal zu öffnen. Der bislang versperrte zentrale Raum wird der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und durch das Denkmal hindurch ein Weg zwischen den beiden bisher getrennten Teilen des Reeser Parks eröffnet. Im Innenraum des Denkmals findet sich Platz für Informationen und weiterführende Inhalte, so dass aus ihm ein Ort des Lernens und der Erinnerung wird.
Bestandsaufnahme
Prämisse des Konzepts ist, dass die hinter dem Nationalsozialismus stehende Ideologie kein historisch abgeschlossenes Phänomen ist, sondern weiterhin blüht und gedeiht, größtenteils außer Sicht- und Reichweite der Gesellschaft. Diese Problematik konzentriert sich wie in einem Brennglas in dem zentralen Raum des Denkmals. Er ist einsehbar, aber nicht der Öffentlichkeit zugänglich und erinnert damit an den Chorraum einer Kirche. Dieses „innere Heiligtum“, mit seiner altar- oder opfertischsähnlichen Einrichtung und der Andeutung einer unterirdischen Grabkammer bildet den Kern der kriegsverherrlichenden Todeskult-Aussage des Denkmals. Der Grundaufbau des Denkmals deutet auf ein Tor oder auf eine Art Durchgang hin, doch dadurch, dass das Tor geschlossen und mit dem Eisernen Kreuz versiegelt bleibt, wird auch bildsprachlich jede Bewegung verwehrt, die nicht entlang derer der marschierenden Soldaten stattfindet. Der Vorplatz wird vollkommen von der martialischen Ästhetik des Denkmals dominiert und ist auch durch die Wegführung nur eingeschränkt nutzbar. Damit bleibt er ein Aufmarschplatz. Ähnlich verhält es sich mit dem hinteren Teil des Parks, der in mehr als einer Hinsicht im Schatten des Denkmals liegt. Der gesamte öffentliche Raum des Parks ebenso wie der Siedlung ringsum krankt daran, dass symbolisch wie pragmatisch freie Zugangswege abgeschnitten sind.
Öffnen als künstlerisch-kritischer Kommentar zum Denkmal
Es scheint uns dringend notwendig, der demokratischen Öffentlichkeit Zutritt zu allen Bereichen des Denkmals und des Reeser Parks zu gewähren. Es darf keine Schutzräume mehr geben für die menschenverachtende Ideologie, die hinter der Gestaltung des 39er-Denkmals steht. Dazu schlagen wir vor, den quasi-sakralen inneren Raum des Denkmals zu öffnen und der Öffentlichkeit Zugang zu gewähren. Dort ist nichts Heiliges. Diese Aussage wird noch dadurch verstärkt, dass im Bereich des neu geschaffenen Durchgangs die Stufe entfernt wird, so dass man barrierefrei von einem Bereich des Parks in den anderen gelangen kann. Es wird ein neuer, strukturierter Betonboden eingelassen, der die Intervention in den historischen Baukörper taktil wie visuell erfahrbar macht, und durch seine Unebenheit zum Verlangsamen und Innehalten mahnt.
Ein integrativer Ort des Lernens und der Erinnerung
An den Innenwänden des Durchgangs werden mehrere vielsprachige Informationstafeln angebracht, darunter eine, die die Aussage der aktuell vor dem Denkmal befindlichen Plakette aufnimmt und erweitert. Darüber hinaus möchten wir in Zusammenarbeit mit der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf Beiträge von Historiker*innen aus denjenigen Ländern bzw. Städten in Auftrag geben, die auf der Vorderseite des Denkmals eingraviert sind. Diese Texte sollen exemplarisch aus den Perspektiven der jeweiligen Länder die militärischen Operationen kontextualisieren. Die Orte liegen heute in den sechs Staaten Polen, Weißrussland, Ukraine, Russland, Belgien und Frankreich, woraus sich die Anzahl der in Auftrag zu gebenden Beiträge ergibt. Neben den Texttafeln wird der Originalzustand des Denkmals im Bild dokumentiert, damit die Intervention klar als solche erkennbar bleibt. Aus Platzgründen können nicht alle sieben Texte in allen sieben Sprachen am Denkmal angebracht werden, so dass wir uns vor Ort auf Englisch, Russisch, Französisch und Deutsch beschränken. Eine eigens eingerichtete Webseite, leicht zugänglich über z.B. einen QR-Code, bietet Platz und Öffentlichkeit für die Gesamtzahl der Texte und ihrer Übersetzungen. Dort findet sich außerdem neben der im Vorfeld erarbeiteten Geschichte des Ortes ein Statement zu den künstlerischen Beweggründen für die Öffnung des Denkmals.
Öffnen als raumplanerische Maßnahme
Durch den neu geschaffenen Durchgang werden die beiden Hälften des Parks miteinander verbunden, so dass er für Anwohner*innen und Stadtgesellschaft besser nutzbar wird. Die zwei Realitäten des Spielplatzes und des Gefallenendenkmals werden nicht mehr voneinander getrennt gehalten, sondern in ihrer Koexistenz erfahrbar. Die Unterscheidung in „vorderen“ und „hinteren“ Teil des Parks wird weniger dominant. Der Erhalt der Bäume ist ein wesentlicher Teil des künstlerischen Konzepts. Die derzeitige „Wildnis“ hinter dem Denkmal wird jedoch ein wenig ausgelichtet, so dass sich auch seitlich des Denkmals Blickachsen zwischen den beiden Teilen des Areals eröffnen. Uneinsehbare, „unheimliche“ Ecken werden einsehbar.